Seit knapp 15 Jahren ist die UN-Behindertenrechtskonvention mit dem Ziel einer inklusiven Gesellschaft, die allen Teilhabe ermöglicht, in Kraft. Doch von einer Gesellschaft, die niemanden ausgrenzt, sind wir immer noch weit entfernt. Wenn eh schon Lehrer*innenmangel herrscht, werden die zusätzlichen Stunden für die Inklusionschüler*innen als erstes gestrichen. Wenn Kindergärten nicht barrierefrei gebaut sind, fehlt die Infrastruktur, um überhaupt einen Platz zu finden. Wenn im Jugendamt Fachkräftemangel herrscht, heißt das: keine Familienhelfer*innen, keine Antragsbewilligung. Wenn Zeit für die Familien ein begrenztes Gut ist, führt jeder zusätzliche Weg und jedes weitere Antragserfordernis zu noch mehr Ausgrenzung. Dies führt bei Familien zu mehrfachen Diskriminierungserfahrungen und Belastungen. Neben fehlenden Infrastrukturen und Fachkräften fehlt die Selbstverständlichkeit Inklusion nicht als Muss zu verstehen, sondern als Möglichkeit, mehr Freiheit für alle zu schaffen. Dazu müssen alle, vor allem Betroffene selbst, an der Entwicklung von Konzepten für aktive Teilhabe beteiligt werden. Die Verfahrenslotsen sind ein wichtiger Schritt, doch noch gibt es sie nicht. Außerdem zeigen sie, dass Barrierefreiheit und Zugänglichkeit an vielen Stellen noch nicht selbstverständlich sind. Vor dem Gesetz sollen alle gleich sein, aber nicht alle werden gleich behandelt. Das Recht der Selbstbestimmung unterliegt nicht nur den Prämissen des gesellschaftlichen Miteinanders, sondern bei Menschen mit Behinderungen oftmals auch Pfadabhängigkeiten. Neben einem verbesserten Pflegezeitgesetz braucht es Entlastungsstrukturen, aufsuchende Hilfe und einen Abbau des Behördendschungels. Manchmal reicht ein bisschen Mehr an Zeit, Vorbereitung und Begleitung für ein gelingendes Miteinander. Das gestaltet sich in einer Gesellschaft, die immer schneller, spontaner und selbstreferentieller agiert, mitunter schwierig. Als Kirche sind wir da genauso gefragt. Auch hier gibt es Optimierungsbedarf und Baustellen. Aber wir können auf dem Fundament des selbstverständlichen Miteinander ganz im christlichen Sinne eines inklusiven Menschenbildes für gleichberechtigte Teilhabe im Alltag aktiv werden.
Ulrich Hoffmann
Präsident des Familienbundes der Katholiken