KOMMENTAR | Kaum noch in Sicht: Die vielfältigen Lebensformen von Familien enteilen zusehends der Familienpolitik

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Kein anderes Politikfeld hinkt der gesellschaftlichen Entwicklung so deutlich hinterher wie die Familienpolitik. Und wo könnte das deutlicher werden als in den sich wandelnden Lebensformen der Familien? Im Alltag teilen sich Väter und Mütter immer mehr Erwerbs- und Sorgearbeit: Väter sind da, wechseln Windeln und ermöglichen die Karriere der Frau. Diese Familienmodelle sind inzwischen ebenso beliebt wie die traditionellen Modelle hauptsächlich oder alleinverdienender Väter. Und wo sind die familienpolitischen Maßnahmen, die dieser Vielfalt familiären Lebens Rechnung tragen? Auch die nächste Elterngeldreform soll wieder keine Anhebung der Vätermonate mit sich bringen. Trotzdem lässt der Anspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule bis 2025 auf sich warten.

 
Auch sonst herrscht seit Jahren familienpolitische Stille bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ist fatal, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Bundesfamilienministerin nicht müde wird zu betonen, dass die Erwerbstätigkeit beider Elternteile der beste Schutz vor Familienarmut sei. Eine Politik, die Lebensstile propagiert, ohne jedoch ausreichende Rahmenbedingungen und Instrumente für deren familienfreundliche Verwirklichung einzuführen, hat beim Abgleich ihrer Agenda mit den Bedürfnissen der Menschen ihr Augenmaß verloren. Das ist weit mehr als ein Kavaliersdelikt!

Zugegeben: Die Politik hat einiges getan, um den gesellschaftlichen Wandel zu begleiten. Blind war sie nicht. Denken wir an den Krippenausbau und die Einführung des Elterngeldes. Genug getan hat die Politik nicht. Und ein kreatives Ideenfeuerwerk hat sie auch nicht leuchten lassen. Dabei könnte ein flexibles Elterngeldmodell nach dem Muster „8 + 8 + 8“ der familialen Vielfalt gerechter werden als alles bisher Dagewesene: Acht Elternmonate für die Mutter, acht für den Vater und acht für die beliebige Verteilung. Das würde längere Auszeiten ermöglichen und eine individuelle Gestaltung der Elternzeiten einschließen – je nach Belieben eher klassisch oder modern. Oder modern mal klassisch: indem Mutter und Vater in nachfolgenden Phasen hauptsächlich für die Familie da sind und nicht zeitgleich. Eine ideologiefreie, allen Lebensbedürfnissen tatsächlich gleichermaßen gerecht werdende Familienpolitik, ein ernst gemeinter Plural, der das Wort Wahlfreiheit verdient – das wäre ein Fortschritt. Bis es soweit ist, dürfen wir hoffen, dass die vielfältige Lebensrealität von Familien der Politik nicht ganz enteilt.

Ulrich Hoffmann,
Präsident des Familienbundes der Katholiken